Freitag, 2. Juni 2017

1.1 Ein fertiges Instrument und seine Vorläufer | playable!

Eine kleine Celesta selbst bauen? Geht das überhaupt?

Vor dem Projekt hätte ich gesagt: "Restaurieren geht, aber ein Neubau - von Grund auf - ist unmöglich". Heute kann ich sagen: Celesten bauen geht ganz leicht!  In diesem Blog möchte ich Schritt für Schritt zeigen, wie man selbst eine Celesta bauen kann.  Von der Herstellung und Stimmung der Klangstäbe, über den Einbau einer Hammermechanik bis hin zur Gestaltung eines Gehäuses.

Wie hört sich so etwas an? Der erste klingende Meilenstein 

Weil im Beginn immer ein gewisser Zauber liegt, zeige ich hier als erstes Klangbeispiel mein wirklich allererstes (!) Spiel auf der noch unfertigen Celesta. Ich hatte fünf Minuten vor Aufnahme des Videos gerade die Aufhängung der Klangröhren auf den provisorischen Resonanzkasten gestellt. Zu diesem Zeitpunkt war die Mechanik noch nicht zurecht gesägt. Es gab noch keine Gestell- und Gehäuse-Elemente. Und auch noch keine Pedale. Damals war ich sehr glücklich und gerührt, dass es offenbar alles gut klappt!

[video 1/4] The first / more to come! 


Wie sieht so etwas fertig montiert aus? Der vorletzte Meilenstein (zwei Monate später)

Hier ein älteres Bild, das einen der letzten Meilensteine meines ersten Projekts zeigt, kurz bevor das Pedal und schützende Gehäuseteile montiert wurden. Obwohl das Instrument inzwischen komplett fertig ist, mag ich das Bild immer noch besonders gerne. Erstens weil es meine erste Celesta war und zweitens weil es zeigt, wie zierlich eine Celesta im Vergleich zu einem Flügel ist. Und vielleicht auch wegen der hübschen Beleuchtung 😉.
Abb. Das fast fertige Instrument nach drei Monaten Bauzeit. Auf dem Bild ist allerdings das Pedal noch nicht zu sehen.

Zurück auf Los! 


Und der Anfang der Geschichte? Nun ja, wie immer, war es Zufall. Meine Hauptinstrumente sind Klavier und Kirchenorgel. Für Celesten und Toypianos interessiere ich mich erst seit ein paar Jahren. Irgendwann, nach einem Konzert der Berliner Philharmoniker habe ich bei Google nach Infos über Celesten (Suchworte: Celesta, Celeste, Celestae, Toypiano) gesucht. Bei Ebay USA gab es damals eine ziemlich ramponierte, aber hübsch silbrig klingende Koffer-Celesta ("Tabletop Celestette") der inzwischen erloschenen Firma JenCo. Naiv, wie ich war, habe ich ein paar Dollar geboten. Natürlich blieb ich nicht lange der Höchstbietende. Sie hat dem Verkäufer am Ende zweitausend Dollar erbracht, was mich damals sehr erstaunte. Dass große Celesten leicht mehrer Tausend Euro kosten können, fand ich verblüffend und traurig zugleich.. Zu gerne hätte ich meine Tasteninstrumente mit einer Celesta ergänzt.

Ansich könnte die Geschichte an dieser Stelle bereits zu Ende sein. Ein kluger Junge hätte irgendwann die Realität akzeptiert, sich ein leichter verfügbares Spielzeug gewünscht und den Celesta-Wunsch einfach vergessen. Offenbar kam es anders, sonst gäbe es diesen Blog nicht.
Bevor ich gleich mit dem eigentlich Celestabau-Blog beginne, möchte ich zuerst noch einen klitzekleinen Augenblick darüber nachdenken, warum man - außer in einem Orchester, so selten eine Celesta antrifft.

Okay, Celesten sind offenbar nicht leicht zu kriegen...


Warum dies so ist, ist mir erst im Laufe der Zeit so richtig klar geworden: Celesten sind Manufakturprodukte. Sie wurden niemals und werden wohl auch zukünftig nicht in industrieller Massenproduktion gebaut. Die geringe Nachfrage hat Herstellungsmethoden mit niedriger Produktivität und somit hohen Preisen begünstigt, was seinerseits negative Effekte auf die Nachfrage hat. Der bekannteste Hersteller von Celesten, die Firma Schiedmayer, hat in seiner 130jährigen Unternehmensgeschichte wahrscheinlich deutlich weniger als 100.000 Celesten hergestellt. (Schätzung anhand einer älteren Seriennummern-Liste). Die Firma Apple dagegen, verkauft alleine an einem einzigen Tag so viele Exemplare ihrer Iphones!  Dabei erscheinen die rein technischen Aspekte der Celesta-Herstellung  nicht übermäßig komplex. Im Vergleich zum Aufwand , der für die Entwicklung moderner Smartphones betrieben werden muss, sind Materialien und Technologien einer Celesta geradezu grotesk simpel: Sägen, Bohren Schleifen, Leimen und Lackieren.
Holz, Metall, Filz, Leim und Farbe.

Während ein Glasermeister und ein Elektrotechnikingenieur niemals ein modernes Smartphone in allen Komponenten nachbauen, geschweige denn selbst entwickeln könnten, wäre es für ein Duo aus einem begabten Orgelbaumeister und einem begabten Klavierbaumeister lediglich eine Fleißarbeit eine einzelne exzellente Celesta herzustellen oder ein Schiedmayer-Instrument zu kopieren. Allerdings wären dann die Preise solcher Neuinstrumente noch weniger erschwinglich.

Gute Feinmechanik aus Holz, Metall und Filz ist dem Wesen nach stets simpel. Aber die Fertigung verlangt ihren Tribut an anderer Stelle. Nämlich bei der Herstellungsdauer. Das professionelle Bauen einer Celesta muss ein wahres "Arbeitszeit-Grab" sein. Mit Ausnahme der Hammerköpfe, Filze, Tastenbeläge, Schrauben, Klebstoffe und Lacke kann nirgends auf vorgefertigte Teile und Halbfertigprodukte zurück gegriffen werden. Wie etwa im modernen Klavierbau, wo komplette Baugruppen auf spezialisierten Sites in Massenproduktion hergestellt, oder fertig eingekauft werden. Die Herstellung einer neuen Celesta dauert daher zwangsläufig viele Wochen. Hinzu kommen Trocknungs- und Standzeiten, da man natürlich nicht beliebig schnell Filze aufleimen oder Holzteile in einer endgültigen Form verschrauben kann.

Da es also nie viele neue Celesten gabund selbst Qualitätsinstrumente irgendwann verschlissen sind, finden sich zwangsläufig auch nur wenig gebrauchte Celesten im Handel wieder. Mathematisch überspitzt muss man daher feststellen, dass gebrauchte Celesten fast nie zum Kauf angeboten werden. Und was fast nie heißt, will ich mit einem simplen Beispiel verdeutlichen: in genau genau diesem Moment, wo ich mit dem Handy genau diesen Blogbeitrag verfasse, werden weltweit exakt 696 Flügel  (Suchwort Flügel und Grand Pianos ab zweihunder Euro) bei Ebay.com (worldwide) in der Kategorie Musikinstrumente gelistet. Aber weniger als eine (~ null) Celesten. Und dies bei immerhin zweihunderundsechsunziebzig Millionen potenziellen Verkäufern und fünfzigtausend Shops auf der weltgrößten Online-Handelsplattform.

Die vorgeschobenen und die wahren Gründe, warum ich diesen Blog schreibe


Die drei wahren Gründe sind schnell gesagt : Verrücktheit (Mangel an Einsicht darüber, dass Unmögliches nicht möglich ist), Selbstüberschätzung (Mangel an Einsicht in die eigenen Grenzen) und natürlich Lust am Tun (Mangel an Einsicht, dass Müßiggang eigentlich ein angenehmerer Zustand ist als Arbeit...). Die vorgeschobenen Gründe dagegen, sind schwieriger zu erklären: es macht Spaß, anderen Leuten ein wenig Mut zu machen und Tipps zu geben, wie sie selber an interessantes Instrument gelangen können, dass man offenbar nicht an jeder Straßenecke kaufen kann.

Löse ein großes Problem, indem Du es auf  kleine, lösbare Teilprobleme reduziert hast


Dieser Satz ist so etwas wie meine wichtigste Prämisse für diesen Blog. Tatsächlich bin ich Anhänger einer simplen, reduktionistischen Weltsicht: versuche nicht eine Tonne Nüsse auf einmal zu knacken, sondern nimm Dir Nuss für Nuss vor (Peanutisation-Paradigma).



Was mir während der Arbeit und während dieses Blogs etwas Rückenwind verschafft hat, ist die Tatsache, dass sich im Netz erstens durchaus ein paar Interessierte finden, die ebenfalls gerne eine Celesta bauen würden und zweitens, dass es Leute gibt, die schon ähnliche Projekte erfolgreich abgeschlossen haben, also Vorläufer, an die sich vielleicht anknüpfen lässt.

1.1.3  Selbstbau-Vorbilder und Selbstbau-Vorläufer


Unter den vielen Youtube-Videos (Suchwort: Celesta), lassen sich mehrere spannende Beiträge entdecken die mit dem Selbstbau solcher Instrumente zu tun haben.  Das vielleicht coolste dieser Videos ist schon ein paar Jahre alt und stammt von Andre van Gelder aus den Niederlanden. Darin hört und sieht man, wie er „Santa Claus is Coming to town“   auf einer kleinen, selbst gebauten Celestette (c1-e4) spielt.

(Bildquelle: https://www.youtube.com/watch?v=Z9wx8HvU6_U)

Er verwendet aufrecht stehende Aluminiumröhren, die mit Hammerköpfen eines alten Klaviers angeschlagen werden. Als Klaviatur benutzt Andre ein altes Keyboard. Er gibt an, dass der Bau ca. drei Wochen gedauert habe. Als Material habe er altes Holz und Material von alten Instrumenten verwendet (vgl.  van Gelder 2009). Ich fand den Klang seines Instruments sehr schön. Mir gefiel gut, dass beim Bau vor allem Recycling-Materialien benutzt wurden. Mein erster Gedanke war: „sowas will ich auch!“. Und wenn ein Nicht-Vollprofi, wie Andre van Gelder, so etwas kann, dann schaffe ich das auch!

Erwähnenswert ist auch das Projekt von Todd Martin, der ein Plattenglockenspiel zu einer Mini-Celesta (g2-a4) umgebaut hat (vgl. Martin 2014). Sein Instrument, ist fertig gebaut. Es besitzt neben einem gestalteten Gehäuse auch Resonatoren (Sanitärinstallations-Plastikrohre), die offenbar von einer Jenco-Celestette beeinflusst sind; in seinem Bau-Video tauchen jedenfalls Fotos mit dem Innenleben eines Jenco-Instruments auf.

Mehr als Proof of Concept verstehe ich das sehr groß konzipierte Projekt „Making a Tubular Bell Piano“ eines anonymen Bastlers, der mindestens sechzehn Bauvideos auf Youtube veröffentlicht hat (vgl. JBitD 2011). Da kein komplettes Instrument vorgestellt wurde, sondern vor allem die einzelnen Schritte einer vollständigen Herstellung einer, im Vergleich zu einem Klavier, etwas größeren  Klaviatur und Mechanik („reinventing the upright“), gehe ich davon aus, dass JBitD das Projekt nicht ganz komplett abschließen konnte. Allerdings enthält das letzte Video viel Tonmaterial, die wahrscheinlich von seinem Instrument stammen. Als Tonerzeuger werden große, obertonreiche Metallröhren (Röhrenglocken, tubular bells) verwendet und von Hämmern über eine Draht-Traktur angeschlagen. Bemerkenswert finde ich JBitDs Mut, ein derartige großes – raumfüllendes – Instrument entwickeln zu wollen.  Die Mechanik einer Upright-Tastatur (Pianino) wird auch ein professioneller Klavierbauer kaum selbst bauen, sondern bei spezialisierten Herstellern (z.B. Firma Renner) einkaufen. Mit meiner momentanen Selbstbauerfahrung würde ich sagen, dass JBitD für seine toll gearbeiteten (!) Mechanikteile leider wenig vertrauenserweckende Roh-Materialien verwendet. Zum Beispiel sind seine Tasten aus mitteldichter Faserplatte (MDF). Bei einem Orgelbauer habe ich einmal gesehen, wie die Tasten und andere Mechanikteile  aus ziemlich pfiffig verleimten Holztafeln gesägt und gefräst wurden. Hochwertige Harthölzer und eine durchdachte Verleimung haben aber vor allem einen Zweck, nämlich das Holz am „Arbeiten“ zu hindern, damit es keine Verformungen durch Luftfeuchtigkeits- und Temperaturschwankungen gibt. Ich kann mir kaum vorstellen, dass JBitDs in monatelanger Handarbeit hergestellte Mechanik dauerhaft zuverlässig funktioniert. Insgesamt ist JBitDs Röhrenglocken-Klavier allerdings, mit weitem Abstand, avancierteste und durchdachteste Selbstbauprojekt, das ich zu diesem Thema finden konnte. Respekt!

Leider fand ich im Internet und in Bibliotheks-Katalogen ansonsten kaum hilfreichen Anleitungen für Do-It-Yourself-Projekte. Unter Andre van Gelders Video haben viele Youtube-User Fragen zum geschrieben. Da es gibt offensichtlich eine Nachfrage nach Informationen gibt, möchte ich hier meine Selbstbau-Erfahrungen und auch ein paar theoretische Recherche-Ergebnisse veröffentlichen. Wie ich, haben wahrscheinlich nur die wenigsten Musiker nutzbare Erfahrungen mit Säge, Schraubstock und Fräse.

Vor allem möchte ich Dich dazu ermutigen, ein wenig den kindlichen Bastler in Dir zu entdecken! Unsere Zeit ist auf den Konsum fertiger Dinge ausgerichtet. Viele, gut verwendbare Recycling-Materialen (z.B. alte Holzteile, alte Klaviermechaniken und Klaviaturen) landen auf dem Schrott. Dabei kann man sich mit etwas Phantasie, ganz leicht ein tolles Instrument daraus bauen. Mein Blog soll euch zeigen, wie’s geht und was Ihr zum selber Bauen braucht. Ihr benötigt keine handwerklichen Vorkenntnisse! Hatte ich auch nicht. Zuhause darf ich nicht mal die Löcher in die Wand bohren, wenn wir ein Bild aufhängen. Ich gelte zu Recht als ein bisschen ungeschickt 😊, wirklich!

Weiterlesen?  Hier gehts zum Beitrag über die richtige Auswahl von Klangröhrenmaterial:



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