Mittwoch, 7. Juni 2017

2.1.3. Restauration Schiedmayer 5 Oktaven Celesta: ein Telefonat mit Herrn Sch...

Das Telefonat mit dem fiktiven Herrn Sch...
hat sich meiner Erinnerung nach genau so zugetragen.

Nachmittags, an einem Freitag im April rief ich bei einer Firma Sch.... in Süddeutschland an. Es war bereits nach 16 Uhr. Zum meinem Erstaunen hatte ich direkt den Geschäftsführer, Herrn K. Sch... am Apparat. "Cool", dachte ich!

Ich fragte ihn, wie schnell sie mir einen Satz neuer Hämmer schicken könnten. Obwohl der fehlende Hammer Nr. 3 von mir kopiert und - gut funktionierend -  neu befilzt wurde, hätte ich - zum damaligen Zeitpunkt - am liebsten einen
kompletten Satz neue Hammerköpfe bei der Firma Sch.... gekauft. Außerdem einige Hammernasen und Kapseln, zur Vorsorge.

Wenn er gesagt hätte "Moment!  Einen Satz Hammmmmmerköpfe *tipptuppindentaschenrechner* uud Messingdräääähte *tipptipptipp*, och jo und noch drei Kapscheln und eine Hammernase *tipptipptipp* *plingkommtderbonraus* das kostet 831,-- Euro plus Meeerwedsteuer und Versand" dann hätte ich zwar geschluckt,  jedoch – mit Freuden: „ja“ gesagt, denn das ist ja schließlich eine kleine Manufaktur. Muss man fördern sowas!

Aber (!) am Telefon herrschte für mindestens 2500 Millisekunden eisiges Schweigen.
Verschicken...". So etwas“ könne man selbstverständlich nicht tun.  "Noch kein Postamt in Wendlingen?", fragte ich mich still.  Nein! Die Firma Sch... könnte derartige Teile nicht verschicken. Niemand, außer Sch... sei in der Lage derartige Teile zu montieren.

Ooooookay... Stefan bleibe sachlich!
Ich merkte mit heiterer Stimme an, die Mechanikglieder seien sogar recht gut montierbar. Und die Montage von Mechanikteilen, die an einer normalen Schraube befestigt sind, gehöre zu den bewältigbaren Dingen eines mitteleuropäischen Menschen. (Da ich meinen Doktorgrad in der Neurochirurgie erworben habe, bilde ich mir sogar ein, ein wenig Verständnis von mechanischen und naturwissenschaftlichen Prinzipien zu haben). Aus strategischen Gründen biss ich mir aber auf die Lippen und sagte stattdessen so etwas wie: "der Klavierbauer meines Vertrauens baut die Dinge hier in Berlin fachgerecht ein". Meiner Meinung nach wäre es nicht gut gewesen, Herrn Sch... mit meinen Celesta-Bauprojekten zu irritieren :-)

Was die Ersatzteile anbelangt, sagte ich, seien diese zwar nicht so ubiquitär verfügbar, wie etwa Kolberg-, Yamaha- oder Lippert-Celesta-Teile (Klaviermechanik), aber das Ding bestünde doch immerhin aus einfachen, in ihrer Funktion klar erkennbaren Mechanikelementen. Erneut eisiges Schweigen; diesmal fast gefühlte 2650 Millisekunden. Alleine die Nennung der Namen Kolberg und Yamaha waren bereits eine Zumutung, schätze ich. Zumal an einem Freitag-Nachmittag, kurz vor Feierabend. Schnell schob ich nach, dass die ja keine Mustel-Mechanik verwenden würden. Dies entspannte die explosive Stimmung etwas.  Dennoch kam mir so vor, als hätte ich ihn gefragt, ob er mir seine ehrwürdige Mutter verkaufen, eintüten und per Paket schicken könne.

Herr Sch... sagte - fröhlich und routiniert professionell -, dass ich das Instrument einfach zu ihm nach Wendlingen bringen solle. Man werde schauen, was man machen könne. Intuitiv wollte ich fragen, ob er bekifft sei - wegen einer Hammerkopfmontage einen Celestatransport von 650 km quer durch die Republik? - verkniff mir dies aber, blieb artig und frage stattdessen naiv „Ähm, wieso?".


Verleihinstrumente als Bedrohung der Manufakturkultur?


Der vorbildlich zugewandte Herr Sch... erklärte dass nur Sch... solche Celesten reparieren könne. Ein Klavierbauer, auch ein Meister seines Faches, sei dazu nicht in der Lage. Das Unterfangen sei aussichtslos! Ich entgegnete dem mit einer Frage, ob er mir dann wenigstens sagen könnte, welche der beiden großen Hammerkopfhersteller (Abel oder Renner) die Köpfe an Sch... liefern. Als ich ihm Details meines Anliegens darlegte sagte er: „Sie kennen sich gut aus" und "ja, wir beziehen von einer der beiden Firmen, die sie eben genannt haben die Hammerköpfe… [Aber,] [sinngemäß] wenn wir Ihnen nur Teile schicken, [sinngemäß: dann stimmt am Ende der Klang nicht und] wir wollen nicht, dass solche Instrumente in den Verleih kommen“.

"Aha,", dachte ich. Verleihinstrument = weniger Neuverkäuf, darum kein Versand an Reparateure, auch nicht an Klavierbauer. Interessante Logik. Ist das also der Grund?. Wenn ich ein vierstelliges Sümmchen an Tribut zahle, dann macht man eine Generalüberholung Und dann ist alles ok? Wenn ich die Teile selbst einbauen will, ist das nicht ok?

Meines Erachtens offenbart sich hier ein an Apple geschulter Eigentumsbegriff. (Apple möchte ja auch nicht, dass man auf IPhones andere Betriebssysteme installiert, oder Medien verwendet, die nicht von Apple gekauft worden sind).

Es geht einen Hersteller nichts an, was ich mit meinem Eigentum tue, finde ich! 


Auch wenn die Gefahr besteht, dass ich mich plötzlich entschließe die Hammerköpfe unvorteilhaft krass zu intonieren oder die Spielart durch bizarre Regulierung zu entstellen. Maßstab ist nicht das abstrakte Klangideal eines Neuinstrument, oder der entgangene Umsatz einer Generalüberholung, sondern langfristig immer die Kundenzufriedenheit. Zum Beispiel hätte dieser Blog-Beitrag eine andere, von gutem Service begeisterte Klangfarbe haben können. Nebenbei bemerkt, ist die externe Wartbarkeit durch "normale" Klavierbauer bei der Firma Kolberg inzwischen ein gewichtiges Verkaufsargument.

Ich möchte kein Klangideal + keine Firmenphilosophie erwerben, sondern Ersatzteile kaufen.


Herr Sch... gab mir seine persönliche Emailadresse - nett ist er ja! - und lud mich ein, die Instrumente in der Manufaktur zu besuchen. Auch das finde ich toll! Allerdings habe ich zahlreiche andere Interessen, z.B. Nahrung, Kleidung, Heizung etc. und möchte nicht sämtliche Ersparnisse in eine von fremden Menschen durchgeführte Generalüberholung investieren, sondern selbst restaurieren. Das macht Spaß, ist lehrreich und ökologisch. Immerhin, soviel sei zu meiner Ehrenrettung gesagt, verwende ich bei meinen Restaurierungsarbeiten nur Qualitätsmaterialien aus dem Klavierbauer-Versandhandel Und ich arbeite mit Bedacht. Gerade weil ich weit, weit, weit entfernt bin von der Erfahrung und der meisterlichen Routine der Sch...-Experten, kann ich es mir leisten, langsam und ohne jeden wirtschaftlichen Zwang eine Celesta zu sanieren.

Es muss jedem denkenden Mensch klar sein, der die Bilder vom unrestaurierten Zustand des Instruments gesehen hat, dass eine Generalüberholung vom Hersteller aus einer "Ganzkörper-Transplantation"  bestanden hätte.  Kein Generalüberholer hätte dort die alten Dämpferfedern und Dämpferstangen von Hand entrostet, sondern neue Dämpfer eingesetzt. Niemand hätte dort liebevoll die Abstrakten mit Holzdübeln, Schrauben und Fischleim stabilisiert, Achsen gängig gemacht und Achslöcher - wo dies wirklich notwendig war, mit Kasimir bzw. Garnierungsband neu betucht, sondern lieber gleich neue Ersatzteile eingesetzt.  Kein Generalüberholer hätte die Bodenplatte durch Stahlelemente solide stabilisert, sondern alles zerlegt und die tragenden Gehäuseteile erneuert.   Siebzig Jahre alte Tasten die man neu belegen müsste, damit sie völlig tadellos aussehen und in 10 Jahren vielleicht neu garnieren?, plus neu zu setzende Hebestangen, komplett neue Regulierschrauben, eine komplette Erneuerung der Pedalanlage? Da hätte man mir nur anbieten können, die Klaviatur und das Pedal komplett zu ersetzen. Und natürlich war sowieso eine komplette Erneuerung der Klangplatten-Auflagerung unbestreitbar notwendig. Ach, die "denkmalgerechter" Neulackierung in Schelllack  (dann brauchen wir ja auch noch neuen Seitenteile, und einen neuen Deckel....)  Damit ist ein Meister sicher viele Wochen gut beschäftigt.  Dies wäre natürlich schade gewesen. Denn dann hätte ich zwar ein funktionell komplett neuwertiges Instrument, aber keine weiteren Erfahrungen erworben. Am wahrscheinlichsten hätte man mir gesagt, es lohne sich nicht ...
Wohl wahr! Fragt sich nur: lohnend für wen?

Wir hatten dann noch guten Smalltalk über die Wunder der Celesta. Am Telefon verblieben wir so, dass ich Herrn Sch... mal Bilder zukommen lassen würde. Werde ich! Wenn alles fertig ist :-)
Mit einem netten "Danke" und einem - auf beiden Seiten - authentisch freundlichen
"Auf Wiederhören" beendeten wir das - für mich lehrreiche -Telefonat.

Wieder was gelernt!

Sicher hat Herr Sch... öfter Amateure am Telefon und aus dem Gespräch keinen Erkenntnisgewinn gehabt. Ich dagegen habe mehrere Sachen gelernt. Und außerdem hat mich der freundliche Mann auf den Gedanken gebracht, dass ich meine Celesten für Konzerte auch verleihen kann :) Danke für den coolen Tipp! Die ersten Interessenten haben sich bereits gemeldet :-)

Wenn ich der Firma Sch... auch einen Tipp zurück geben darf: verkaufen Sie einfach einem Kunden das, was er bezahlen kann. Wenn ein Förderverein eines Symphonieorchesters nach einer neuen Celesta fragt, verkaufen sie denen eine neue Celesta. Und wenn ein Amateur kommt und will Mechanikteile, dann verkaufen sie ihm am besten genau diese. Der Grund ist einfach. Wenn man als Manufaktur das Klang-Ideal auch bei Sanierungsinstrumenten bewahren möchte, dann erreicht man mit einer restriktiven Ersatzteil-Strategie genau das Gegenteil und macht keinen Cent Umsatz.

An vielen Stellen hatte mein Instrument in den letzten 70 Jahren von (mehreren) Bastlern bereits laienhafte Ersatzeile eingebaut bekommen, z,B. falsche Klangplatten-Polster, fürchterliche Fahrwerksrollen.... Genau dies führt zu Celesten, die sich vom alten Mustel-Ideal entfernen. Für mich waren die fehlenden Kleinteile im Nachhinein nur ein geringes Problem. Ich habe gelernt mit einfachen Mitteln und ein paar guten Tipps Einzelteile zu kopieren. Solange man nicht viele gleichartige Teile Serie bauen muss, ist ein solitäres Element innerhalb von wenigen Stunden herstellbar. Danke, lieber Dremel!

Nachtrag mit Happy-End:

Bei Andre Ponath (http://www.vintageaudioberlin.de/) bin ich für ein paar Euro an das letzte, mir noch fehlende Original Schiedmayer-Ersatzteil gekommen. Es stammt aus ein einem Celesta-Rest, den Andre als Ersatzteilspender oder Ausgangsmaterial für Selbstbauprojekte im Lager versteckt hielt :-)  Seine riesige Sammlung an verkäuflichen, zum Teil sehr seltenen Instrumenten und Vintage-Audioequipment ist immer einen Besuch wert.
Danke, Andre!


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