Montag, 5. Juni 2017

2.1.1 Restauration Schiedmayer 5 Oktaven Celesta: Start!

Eine alte Celesta bei Ebay-Kleinanzeigen...

Am 19.04.2017 war es soweit: ich habe meine erste 5-Oktaven-Celesta aus dem Haus Schiedmayer erstanden. Die Verkaufsanzeige fand ich auf Ebay-Kleinanzeigen: Matthäus Winnitzki, Jazz-Pianist und Sohn des bekannten Hamburger Klavierbaumeisters Paul Winnitzki wollte das Lager seines alten Vaters auflösen. Ich bot ihm 500 Euro, wohlwissend dass der wahre Wert wahrscheinlich eher um die 4000 bis 5000 Euro betragen würde. Nach einer kurzen, auktionsartigen Verhandlungsrunde wurde das Instrument dann innerhalb von zwei Tagen von der Firma Pianophil für 149,-- Euro Frachtkosten als Beiladung eines regulären Klaviertransportes von Hamburg nach Berlin befördert.

Noch beim Vorbesitzer: ein Video vom unrestaurierten Urzustand.

Video: Aufgenommen von Paul Winnitzki dem Verkäufer am 15.04.2017 in Hamburg-Mitte
























Abb: Ohne Hinterwand. Ein erster Blick auf dei Mechanik-Rückseite. Hier ist viel Staub.




























Die Bestandsaufnahme zeigte eine weitgehend erhaltene Grundsubstanz,vollständige Klangplatten, Resonanzkästen und sehr gut erhaltene Klaviatur. Stark plattgespielte, aber sicher noch mehrmals abziehbare Hammerköpfe. Ein fehlendes, aber rekonstruierbares Mechanikglied. Drei Aufhängungen der Abstraktendrähte gebrochen. Das Gehäuse war stark bestoßen, aber intakt. Grundplatte zeigte einen stabilisierbarem Bruch, hinten, außen links. Dämpfer und Klangplattenfilze waren allsamt sehr platt, zum Teil etwas zerfallen, in jedem Fall erneuerungsbedürftig. Das massive Messingpedal war oberflächlich stark korrodiert und zeigte eine dicke Schicht Grünspan. Im Inneren befand sich feinverteilt ein ganzer Staubsaugerbeutel voll Staub.

Das sah nach viel Arbeit aus. Aber bewältigbarer Arbeit! Konservativ kalkulierte mit zwei bis drei Stunden Arbeit pro Ton und 600 Euro an Material für Holz und Filz. Nach einer Stabilisierung des Grundplattenschadens mit Holzspachtelmasse und sehr stabilen Stahlwinkeln, reparierte ich zunächst die gebrochenen Ablenkungen der Abstrakten-Wellen und rekonstruierte das fehlende Mechanikglied aus Pianohebegliedern. Ich begann mit einer Ton-für-Ton-Zerlegung und setzte schrittweise alle Töne wieder instand.

Ist es in wertvolles Instrument? Die Seriennummer(n)...

Eher nein. Das zu restaurierende Exemplar trägt auf der linken Klaviaturwange die Seriennummer 63861. Unter der Hypothese, dass sich die Schiedmayer-Celesten einen gemeinsame Nummern-Vorrat mit den anderen Instrumenten geteilt haben, also Harmoniums, Klaviere, Flügel, Celesten und Sonderanfertigungen einfach fortlaufend nummeriert wurden, kann laut Datenbank das Herstel-lungsjahr 1940 angenommen werden. Gestützt wird die Vermutung durch eine zweite Nummer, die Klaviaturrahmen-Nummer 216940. Spekulativ könnte dies den Fertigstellungstag angeben 21.6.(1)940. Ob diese Annahme zutreffend ist, versuche ich während der Restauration zu klären.

Einordnung des Instruments innerhalb der Celesta-Produktion

Betrachtet man die Entwicklung der Schiedmayer-Produktion, dann wird deutlich, dass ab den 1930er Jahren – bezogen auf die langjährigen Durchschnitte – die Produktion um ca. 80% eingebrochen ist! Wurden bis 1935 in den vorangangenen 5-Jahreszeiträumen jeweils ca. 1000 Instrumente im Jahr gebaut, waren es bis in die 1960er Jahre nur noch etwa 200 Exemplare pro Jahr.

Abb. Schiedmayer Seriennummer-Entwicklung in längeren Zeiträumen (eigene Grafik).

Nationalsozialistische Diktatur und Krieg und könnten eine Ursache gewesen sein. Vielleicht spielt aber eine Verschiebung der ästhetischen Kategorien eine noch größere Rolle: weg von einem spätromantischen, weichen Klangideal hin zu modernen Farben? Und natürlich auch eine gewisse Marktsättigung. Gut gebaute Tasteninstrumente haben einen lange Lebensdauer. Und kaum ein Orchester wird einen echten Bedarf nach Zweit-Celesten gehabt haben. Festzuhalten bleibt daher: das zu restaurierende Instrument ist ein „Spätankömmling“. In der Niedergangszeit hergestellt. Im gerade begonnenen Weltkrieg, mit sich abzeichnender Personal- und Material knappheit vielleicht aus Lager-Restbeständen aufgebaut? Die Firma verfügte in den 1940er Jahren bereits über ein halbes Jahrhundert Erfahrung in der Herstellung von Celesten. Aber es war eindeutig die Zeit nach dem Höhepunkt. Daher ist zu vermuten, dass das zu restaurierende Exemplar mit reifem Know-How, aber eher in Not und Sparsamkeit gebaut wurde. 















Eine alte Dame, die nie eine eine Schönheitskönigin war...

Die verwendeten Materialien z.B. Elefenit anstatt Elfenbein für die Tastatur, deuten auf industrielle Fertigungsverfahren. Die Bohrungen einiger verdeckter Hilfsschrauben zeigen zuweilen eine „wenig meisterliche“, sondern vielmehr eine recht krumme und schiefe Arbeitsweise. Bei der ersten Demontage fand ich eine nicht verbaute große Holzschraube von ca. 60 mm Länge. Sie glänzte wie nagelneu, weil sie unbemerkt oder (eher) einfach unbeachtet zwischen zwei Gehäuseteilen eingeklemmt war. Summarisch betrachtet, war das vorliegende Exemplar also sicher kein genuines Meisterwerk, sondern ein Serienexemplar, das unter widrigen Bedingungen fertig gestellt wurde.

Aber, dieses Exemplar ist vom Gesamtaufbau eine Seltenheit!

Führt man eine Google-Bildersuche zu Celesten durch (Suchworte: Schiedmayer celeste | celesta), dann finden sich allerdings keine weiteren Fotos von alten Stand-Celesten mit einer vergleichbaren Plattenanordnung auf vier Ebenen und identischer Tonverteilung! Insofern erscheint das zu restaurierende Exemplar als besonders erhaltenswürdig. 

Für die Sanierung habe ich daher die bekannte Restauratoren-Prämisse gewählt „Substanzerhalt vor Funktion“. Es sollte also, wo es möglich war, das vorgefunden Material wieder verwendet werden. 
Leimarbeiten wurden grundsätzlich nur mit reversiblem Fischleim durchgeführt.  Lediglich fehlende Holzelemente der Mechanik und des Gehäuses, Dämpfer-Schubstangen, unbeweglich eingerostete Schrauben, unbewegliche Regulierpuppen und auch das defekte Fahrwerk wurden mit modernen Materialien ergänzt. 

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