Samstag, 3. Juni 2017

1.2 Selfmade Celesta: das passende Klangröhren-Material

Zuletzt hast Du vielleicht einen Blick auf [→das fertige Instrument] geworfen und möchtest nur ein bisschen was über Klangröhren lesen? Ansonsten stöbere doch einfach auf der [→Homepage]!

Klangröhren? Warum ausgerechnet Röhren?

Angeregt durch Andre van Gelders Röhreninstrument (und abgeschreckt vom Verarbeitungsaufwand, der bei Klangplatten zu erwarten ist), habe ich mich von vorne herein für Röhren entschieden. Im August bin ich an einem schönen Sommertag in den Baumarkt geradelt. Der nächste Baumarkt im Umkreis meiner Wohnung ist ein Markt der Firma Hellweg. Er liegt 15-Fahrad-Minuten oder drei S-Bahnstationen entfernt am Ostbahnhof in Berlin. Dieser kleine Hinweis soll Dir zeigen, dass man zum Bau einer Celesta kein eigenes Auto braucht. Metallstangen und Werkzeuge kann man leicht auf den Gepäckträger packen. Der Transport der größeren Holzteile, wie z.B. der Klaviatur (Schrott-Material aus einem alten Klavier) geht bequem mit dem Taxi. Bei mir hat der Taxifahrer bei den größeren Teilen sogar mit getragen. Wahrscheinlich kein Berliner 😁.



Anforderungen an ideale Röhren für das Celesta-Bauprojektes

1. Die gesuchten Röhren müssen musikalisch schön klingen. 


Für mich bedeutet dies, dass die Röhren nach Anschlagen mit einem mittelharten Filzschlägel a) ein harmonisches Obertonspektrum hervorbringen, b) nach dem Anschlag schnell einen stabil hervortretenden, möglichst deutlich hervortretenden Grundton aufweisen, c) ein langes Sustain und d) einen nur geringen schrill-perkussiven Attack besitzen und e) einen möglichst großen Dynamikumfang besitzen sollten.

Platten, Stäbe und Röhren zeigen hierbei riesige Unterschiede! Die Unterschied  zwischen verschiedenen Röhren ist klanglich zwar nicht ganz so große, trotzdem klingen Röhren, je nach Materialart/Legierung und Mensur (Verhältnisse von Durchmesser, Wandstärke und Länge) sehr verschieden.  Lee Hite hat sehr schön die Unterschiede zwischen Chimes aus verschiedenen Materialien gezeigt.

Das Material, genauer der Biegemoment des Materials, entscheidet über die benötigte Länge für eine vorgegebene Tonhöhe, denn die Klänge von frei gelagerten Klangröhren sind vor allem Biegeeigenschwingungen. Die benötigte Länge wiederum, muss in einem passenden Verhältnis zu Durchmesser und Wandstärke stehen, damit es musikalisch schön klingt.  Bei Röhren gleicher Länge klingt diejenige höher, die das größere Biegemoment besitzt.  

Ein wichtiges Ziel war es, die Klangröhren mit einer aufrechten Klaviermechanik inkl. Dämpfung anzuspielen. Der Abstand zwischen den Mittelpunkten von zwei benachbarten Hammerköpfen beträgt 13.5 mm. Wenn man also die Röhren mit einer Klaviermechanik anschlagen möchte, darf der Röhrendurchmesser höchstens ca. 12 mm betragen, sonst passen die Röhren nicht mehr nebeneinander. Man benötigt ja auch noch etwas Platz für Luft bzw. Filz zwischen den Röhren

Damit kommen vor allem Röhren mit den Standarddurchmessern 10, 11.5 und 12 mm in Betracht. Es gibt Röhren mit sehr dünner Wand < 1 mm und dicker Wand > 3 mm.  Die Wandstärke muss zum Durchmesser passen. Zu dicke Wandstärken bringen schlechte Klangeigenschaften hervor. Eine Röhre (Hohlstab) mit sehr dicker Wand klingt eher wie eine Stange (Massivstab). Und Massivstäbe besitzen deutlich unharmonische Oberton-Spektren. Gleichzeitig führen dick Wände zu einem hohen Gewicht und damit zu höherer Lautheit und langem Sustain (erwünscht). Dicke Wände führen aber auch zu einem höheren Grundton, was größere Rohrlängen erforderlich macht, die dann nicht mehr in einem passenden Verhältnis zum Durchmesser stehen.

2. Die gesuchten Röhren müssen physikalisch korrekt anregbar sein

Um die Hammer-Energie möglichst ungedämpft zu übertragen, dürfen die Rohre nicht lackier, eloxiert oder pulverbeschichtet, gecoatet oder sonstwie ummantelt sein. Natürlich müssen die Rohre einteilig gezogen sein, also ohne Nähte sein. Außerdem müssen die Rohre so stabil sein, dass sie nicht durch harte Hämmer eingedellt oder dauerhaft verformt werden können.

3. Die gesuchten Röhren müssen dauerhaft haltbar sein

Also korrosionsbeständig gegenüber normaler Luftfeuchtigkeit. Rost und Grünspan sind unkalkulierbare Risiken für die Röhren und Hammerköpfe. Eisen und Kupfer scheiden aus der Liste möglicher Materialien aus.  Damit verbleiben nur Alumium-Legierungen und nichtrostender Stahl in der Auswahl.

4. Die gesuchten Röhren müssen leicht zu bearbeiten und zu montieren sein

Nichtrostender Stahl erschwert die Bearbeitung und scheidet aus.

Damit ist die Suche bereits klar eingegrenzt:

Infrage kommen also unbeschichtete Aluminiumröhren mit 10-12 mm Durchmesser und einer Wandstärke von 1-2 mm.


Im Baumarkt habe ich eine Reihe von Proben von Röhren gekauft und zuhause ausgiebig getestet. Es stellte sich schnell heraus, dass eine bestimmte Aluminium-Röhren-Art auf Anhieb sehr gut klang und als Tonerzeuger über einen weiten Tonbereich geeignet ist. Ich konnte stabile Frequenzen mit klarem Grundton in einem Bereich zwischen 300 und 4000 Hz hervorbringen. Die Töne klangen schön, wie ich finde. Das Äußere der Röhren hat mir auch gefallen. Ich schreibe das explizit, weil es zum Teil auch merkwürdig oxidierte Aluminium-Rohre gibt. Die Erfahrungen mit Stücken von Kupfer-, Messing- und Stahlröhren, die ich direkt im Baumarkt mit einem Schlägel ausprobiert habe, war nicht ermutigend. Die Nicht-Alu-Röhren sahen schon im Baumarkt nicht gut aus. Zum Teil waren sie etwas verformt, z.B. in Längsrichtung verbogen oder stark oxidiert. Jedenfalls wirkten die Ergebnisse mit Nicht-Alu-Material wenig vertrauenserweckend.


Empfohlenes Aluminium-Klangröhren-Material und Bezugsquellen:

Hersteller:           Firma ALFER in Wutöschingen (www.alfer.com)
Bauart:                Alu Rundprofil
Material:             Aluminium-Legierung (AlCu4PbMn?)
Durchmesser:     11,5 mm
Wandstärke:        1,5 mm (mit der Mikrometerlupe gemessen: 1,45-1,60 mm, also -3 bis +6 %)
Bestellnummer:   Nr. 25004
Europäische Artikelnummer [EAN]: 4001116250040

Besonderheit der verwendeten ALFER-Röhren 

Die Wände dieser Röhren haben bei 90,180, 270 und 360° jeweils eine Rille („Bohrkennrille“),  die das Bohren vereinfacht. Ich habe 4,95 €/Meter bezahlt und überwiegend Stangen in Längen von zwei Metern gekauft. Es gibt sie aber auch mit einer Länge von einem Meter. Insgesamt habe ich 10 Meter verbraucht. Inklusive Tests, Verschnitt und Ausschuss.  Man findet genau diese Stäbe zum Beispiel in Baumärken der Firma Hellweg.  Im Anhang findest Du einen Direkt-Link zum ALFER-Shop (vgl. Alfer 2016).

Beim Kauf auf gleichmäßige Wandstärken achten

Bei Klangstäben gilt die Regel: dicke Wand = höherer Ton.  Beim Bauen habe ich bemerkt, dass sich kleine Unterschiede der Wandstärke sichtbar auf die Länge der Klangröhren auswirken; und natürlich auch auf die Tonhöhe. Ich hatte ein paar Röhrenabschnitte dabei, die fürchterlich vibriert haben. Das kommt offenbar durch ungleichmäßige Wanddicke zustande.  Es ist also ratsam, sich die Röhren vor dem Kauf genau anzuschauen, ob sie eine gleichmäßige Wandstärke haben.

Man kann relevante Ungleichheiten eigentlich schon gut mit bloßem Auge erkennen. Du solltest versuchen, Röhren „in einem Rutsch“ zu kaufen, also aus einer Charge. Ich vermute, dass damit die Chance auf durchgängig gleiche Wandstärken erhöht. Solange die Wandstärke eines einzelnen Rohres an allen Seiten gleich dick ist, ist alles okay. Im Vergleich, müssen Röhren mit leicht dickerer Wand zur Sicherheit 0,5 cm länger abgesägt werden, damit sie nicht von vornherein zu hoch sind!

Die vier Rillen an den Außenseiten der Alfer-Röhren haben insgesamt nur positive Auswirkungen. Das Rohr hat durch die Rillen in der Summe eine geringe mittlere Wandstärke, verglichen mit einem hypothetischen Rohr ohne Rillen. Dadurch muss man faktisch längere Rohre verbauen. Lange Röhren lassen sich aber besser handhaben, abmessen und bohren. Durch die Längsrillen ist (in Längsrichtung) keine verminderte Stabilität zu erwarten. Also kein Risiko in Bezug auf Verbiegungen, Knicke oder Dellen. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass die Längsrillen eine Verformung des Querschnitts begünstigt, wenn man die Röhren zu stark in einen Schraubstock einspannt. Aber das dürfte sich mit etwas Feingefühl beim Einspannen umgehen lassen.

Apropos Massivstäbe....

Da ein Besucher dieses Blogs nach Massivstäben fragte:
massive Klangstäbe und Klangröhren klingen wirklich völlig unterschiedlich. Massivstäbe bieten für das Celesta-Projekt keine Vorteile gegenüber Röhren. Bei gleicher Länge klingen Massivstäbe höher als ein Hohlstab und lassen sich schwieriger auf die richtige Länge bringen, denn ein Rohrschneider geht bei Massivstäben nicht. Beim Feilen und Bohren von massiven Stäben ist auch mit mehr Aufwand und mehr Spänen zu rechnen. Das entscheidende Argument für Röhren ist aber natürlich der viel angenehmere Klang. Schließlich soll ein richtiges Instrument gebaut werden und nicht das Klangwerk für eine nach Honky-Tonk-Piano klingende Standuhr mit "Westminster Gong".



Weiterlesen?  Hier gehts zum Zuschneiden und Stimmen der Klangröhen: 


Andere Beitrag lesen? Dann zur Startpage!

Keine Kommentare:

2.2.2 Neue Dämpfer: wesentlich für einen guten Klang | Dampers

Im Grunde genommen ist die Mechanik einer Celesta sehr einfach. Durch Drücken einer Taste wird der dazu gehörige Hammer in Richtung der Kla...